Hans Wernher von Kittlitz

2014

Beate von Essen (Malerei) und Gudrun Schuster (Skulptur)

Einführende Worte zur Eröffnung der Ausstellung ihrer Werke in der Werkkunstgalerie „Kunstzeigen“, Berlin

Ausstellung Berlin Gudrun Schuster und Beate von EssenDrei Künstlerinnen, Beate von Essen und Gudrun Schuster, beide kenne ich seit Anfang der 90er Jahre, begegnen sich hier persönlich (mit, glaube ich, einer flüchtigen Ausnahme) und künstlerisch zum ersten Mal – und sollen gleich zusammenziehen: In diese Einraumwohnung namens Werkkunstgalerie sind sie mit ihren Kunstwerken – auf Zeit – eingezogen. Ganz wie im echten Leben, wie bei einer menschlichen Wohngemeinschaft, ist das keine ganz einfache Sache. Um miteinander auszukommen, gilt es, sich aufeinander einzustellen, sich auseinanderzusetzen. Mit ein paar Worten versuche ich, dabei zu helfen.

Da solche Einführungen nur wenige Minuten dauern dürfen, halte ich die biographische Vorstellung ganz knapp und auch mein Blick auf die Arbeiten wird weniger datailliert sein als generell, dabei jedoch berücksichtigen, wie sie sich zueinander verhalten, diese beiden Künste, die hier zusammen geworfen sind. Wenn ich einen existentialistischen Ton anschlage und mit Heidegger von der Geworfenheit in die Welt dieses kleinen Galerieraums spreche, vom Zu-Fall dieses Zusammenseins, dieses Zusammenfallens und von der Notwendigkeit, der Unausweichlichkeit, miteinander zu sein, zu koexistieren, so sind diese Begriffe deshalb ganz bewusst gewählt, weil sie schon für sich genommen mit dem Werk der beiden Künstlerinnen sehr viel zu tun haben.

Vordergründig – zugleich damit hintergründig – gilt das vor allem für die Arbeit der Beate von Essen, die, 1941 in Breslau geboren, bis zu ihrem Wechsel nach Berlin vor einigen Jahren seit 1960 in Frankfurt am Main gelebt, gelernt, gearbeitet hat – mit zeitweiligen Aufenthalten in Rom und in New York. An der Frankfurter Städelschule hat sie u. a. bei Karl Bohrmann, Thomas Bayrle und Hermann Nitsch (als sogenannter Blutkünstler berühmt geworden) studiert, war Meisterschülerin bei Johann Georg Geyger. Frühe Preise und Stipendien sowie internationale Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen seien nur kurz erwähnt; als besondere Auszeichnung ist zu verstehen, dass einer der Tempel europäischer Gegenwartskunst, das Frankfurter Museum für moderne Kunst, ein Konvolut ihrer Arbeiten erworben hat.

Beate von Essen AquarellWie etwa bei Karl Bohrmann, wenn auch auf andere Art, ist ihre malerische Arbeit von der Zeichnung bestimmt. Aber malt sie nun zeichnerisch oder zeichnet sie malerisch? Das kann man sich nicht nur fragen, wenn man ihre von der Farbe bestimmten Aquarelle betrachtet, denn selbst da, wo sie mit etwa mit dem Bleistift zeichnet, kann sie eine spezifisch malerische Flächenwirkung erzielen, indem sie den Eindruck grauer, also unbunter Farbflecken hervorruft. Ein solches Entweder-Oder (Malerei oder Zeichnung) würde sie ohnehin nicht akzeptieren, so wie sie überhaupt das Denken in den herkömmlichen Kunstschubladen ablehnt. Obwohl sie in dieser Ausstellung den Part der zwei dimensionalen Kunst vertritt (G. Schuster den der dreidimensionalen), setzt sie sich in ihrer Arbeit auch über solche Grenzen hinweg. Ohne der europäischen Überlieferung zentralperspektivisch unterstützter Illusion verhaftet zu sein, ertastet ihre Arbeit räumliche Tiefe, gibt sich damit aber nicht zufrieden. Ein Vorne und Hinten gibt es letztlich ebenso wenig sicher, wie es ein Vorher und Nachher zu geben scheint: Auf der Zeichenfläche stellen sich Raum und Zeit gleichsam gegenseitig in Frage. Auch wenn eine absolute und “eindeutige” Antwort nicht möglich ist, kann auf dem Weg des Fragens Kunst entstehen.

Mit dem Stichwort des Weges möchte ich das konkretisieren. Die gezeichnete Linie, der zeichnerische Strich kann als Weg auf dem Papier verstanden werden. Was unterwegs passiert, ist von der Künstlerin weder geplant, d. h. unabdingbar fest gelegt, noch ist es völlig beliebig, d. h. dem Zufall überlassen; das schon Entstandene entscheidet über das zu Enstehende, das wiederum, wenn es geworden ist, das Vergangene in seinem Wert verändert, ihm einen unabsehbaren oder möglicherweise auch absehbaren neuen Charakter gibt. Der Strich bildet Formen, findet Gegenstände, deckt Wirklichkeiten auf, und erzeugt im Weiter gehen weitere Gestalten. Ob diese etwas abbilden, ist dabei nicht erheblich. Denn auch der Gegensatz zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst ist hier letztlich gegenstands los. Auf dem Zeichenblatt findet also im Vorgang des Zeichnens, in der Zeit des Zeichnens eine neuen Welt statt, es ensteht Seiendes oder Nicht seiendes; die Zeichnerin gibt im Zeichnen “das Maß der Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind”, so mag hier der berühmte Satz des Protagoras paraphrasiert werden. Dieses “nichtseiend” meint die Stellen, die frei bleiben: diese werden erlaubt, sie werden (um es wortspielerisch zu sagen) z u gelassen, indem sie offen gelassen werden. Sie sprechen oder vielmehr schweigen im Kunstwerk mit, sind Pausen des Schweigens im zeichnerischen Redefluss - das Sein und das Nichts, könnte man mit Sartres berühmtem Buchtitel sagen. Inhaltlich gesehen, steht aber das Ungezeichnete, stehen die weißen Flecken oder leeren Stellen, die Abbrüche, Unterbrüche und Fragmente nicht nur für eine Negation gegen die positiven Formsetzungen, sondern, bei genauem Hinsehen, enthalten die zuweilen verspielt sich öffnenden oder schließenden, die ufernden oder ausufernden Formgebilde auch quälende Engen und haltloses Entborgensein. Wenn so der Schrecken geradewegs im Paradies stecken kann. dann können die leeren Zonen ihre Verlorenheit verlieren und umgekehrt lösend oder gar erlösend wirken; auch auf dem Zeichenblatt kann das Frei bleiben ein Frei werden enthalten.