Claudia Ehrentraut (Zeichnungen) und Gudrun Schuster (Skulptur)
Einführende Worte zur Eröffnung der Ausstellung in der NEW Hauptverwaltung, Mönchengladbach
Beide Künstlerinnen nahmen an einer Gemeinschaftsausstellung Neusser Künstler in Châlons-sur-Seine teil, wobei sie die Erfahrung machten, dass ihre Arbeiten nicht nur harmonierten, sondern auch korrespondierten, aufeinander antworteten und neue Bezüge entstehen ließen. Und aus dem Wunsch, ihre Arbeiten einmal im Zusammenhang zu zeigen entstand aus der Ausstellung ÉPHÉMÈRE, der Eintagsfliege, nun die KÖCHERFLIEGE als Insznierung eines lebensbejahenden, tiefgründigen Dialogs.
Der erste Eindruck ist eine Eleganz aus Naturholz, Silber und Schwarz, die unaufdringlich zum Betrachten einlädt. Eleganz im Sinn von geschmeidig / gewandt. Beide Künstlerinnen verbindet die Liebe zum Handwerk. Viel Licht ist in den schwarzweißen Zeichnungen, lichter Raum liegt zwischen den Skulpturen und Licht wird von dem spiegelnden Untergrund intensiviert. Die Spiegel erzeugen eine Art Schatten der Skulpturen, reflektieren einen Ausschnitt, zeigen die Unterseite, geben neue Anblicke, Einblicke. Sie reflektieren auch die Zeichnungen von der Wand. Je nach Blickwinkel entstehen Überblendungen, die an doppeltbelichtete Fotos aus alten Sucherkameras erinnern. Die dreidimensionalen Holzskulpturen werden im Spiegel zur Fläche, die Zeichnungen, im Wasser der Skulptur gespiegelt, verbinden sich im Auge des Betrachters zu einer Geschichte, werden plötzlich als trinkende Tiere wahrgenommen. Die Steine des Wegs auf der Zeichnung transformieren auf dem Boden gespiegelt zur Struktur einer Zelle. Der Gesamteindruck ist eine Atmosphäre voller Poesie. Die Gedanken haben Platz zum Wandern.
Gudrun Schuster: Skulpturen
Bei den beiden Skulpturen FRUCHTKÖRPER und SPITZKEGELIGES KAHLKÖPFCHEN handelt es sich um Pilze. Im allgemeinen assoziieren wir mit Pilzen eher Schimmelpilze, Schwamm an feuchten Wänden, also Verwesung und Zerfall. Erst die neue Forschung definiert Pilze als unerklärliche, höherentwickelte Wesen aus Eiweiß, für die zwischen der Pflanzen- und Tierwelt ein eigener Forschungszweig eingerichtet werden musste, die Mykologie. Pilze verrichten die Arbeit, das Abgestorbene zu zersetzen und wieder in den Kreislauf des Lebens hineinzubringen. Waldpilze leben in Symbiose mit den Bäumen, sind auch untereinander verbunden, bilden im Wald eine Einheit. Dabei bleibt der Großteil des Pilzkörpers im Dunkel der Erde verborgen. Was ans Licht kommt, was wir als Pilz bezeichnen, sind die Fortpflanzungsorgane, deren Schönheit hier in der Vergrößerung zum Ausdruck kommt. Die Form des KAHLKÖPFCHENs erinnert pünktlichzufällig an einen Phallus. Der Phallus ist eines der ältesten Fruchtbarkeitssymbole. Der Wille zum Leben, das Begehren, drängt ans Licht.
Daneben steht die Figur CUVE (Gefäß). Bis zur Entdeckung der Eizelle galt die Frau als Gefäß für den Samen des Mannes. Sie wurde nur als Boden, auf dem das Kind wächst, angesehen. Gleichzeitig hat das Gefäß auch mehrfache rituelle Bedeutung. Auch hier sind wir mitten im Leben.
Alle Skulpturen sind aus aus Totholz gearbeitet. Die nach oben hin offene Form der CUVE läßt uns ins Innere blicken. Die Rillen, Risse, Einkerbungen und Hohlräume sind im Sterbeprozeß des Baums entstanden, muten wie Landschaften im Kleinen an. Die Künstlerin hat das Holz nur minimal bearbeitet, in drei Etagen aufgebaut über Steckverbindungen, die das alte Handwerk des Tischlerns und Schreinerns wieder aufgreifen. Was sie mit sehr viel Spaß tut. Hier im künstlerischen Prozess zielt Gudrun Schuster jedoch nicht auf Nützlichkeit und Stabilität, sondern benutzt das Handwerk nur, so sagt sie, als eine Anmutung von Funktionalität. Leben als permanente Transformation wird hier in den Pilzskulpturen aus Totholz, wo Form und Material sich ergänzen, zur Anschauung gebracht und ein Denkmal gesetzt.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raum befindet sich die Skulptur GEFÄSS, ein über 2m langer Zedernstamm. Er wurde mit Werkzeug von Gudrun Schuster ausgehöhlt. Somit wird dem Morbiden hier die aktive Kraft des Aufbrechens, des bewussten Gestaltens gegenüber gestellt. Sie hat den Baumstamm mit Wasser gefüllt. Wasser besitzt selbst auch formende Kraft, und ohne Wasser wäre kein organisches Leben möglich. Die Unterseite des Holzes wird über den Spiegel offenbart.
Die Skulptur FREIER RADIKALER fällt in diese Ausstellung hinein wie ein Fremdkörper, ein Meteorit; fällt auf durch Form, Farbe und Material, wird so zum Stein des Anstoßes. Und stößt uns dabei an, in größerem Zusammenhang zu denken, unser Leben auf der Erde in Bezug auf das gesamte Universum zu sehen -alles ist aus Sternenstaub entstanden- und rückwirkend auch das kleinste Lebewesen anzuerkennen. Jedes Teilchen, sei es noch so winzig, sagt Gudrun Schuster, habe die gleiche Stellung.
Claudia Ehrentraut: Zeichnungen
Als erstes begrüßt uns ein Schaf namens RENATE, sie lächelt uns an. Ihr wohlwollender Blick bezieht auch die Skulpturen ein. Wie ein Buddha -die Tuschezeichnung ist 1,40 x 1,80 m groß- überstrahlt sie uns und scheint zu sagen: Es darf alles sein.
Claudia Ehrentrauts Tierporträts in Schwarz-Weiß zeigen Tiere von unerwarteter Individualität, die direkt ans Herz geht und begeistert. Die Augen schauen uns direkt an, ohne zu werten. Ihr Blick ist klar. Er verändert etwas, berüht uns. Der französische Philosoph Jaques Derrida entdeckte den Blick der Tiere als wertvolles Gegenüber, als ihn seine Katze im Badezimmer ansah. Seitdem bezeichnete er sich selbst als "Vegetarier im Geist" und wertete die Stellung der Tiere innerhalb der Philosophie auf.
Claudia Ehrentraut fängt von einer Idee ausgehend an zu zeichnen, aber erst die jeweilige Stimmungslage entscheidet darüber, welches Tier sie zeichnen wird. Und während sie zeichnet, nach traditioneller Methode mit der Zeichenfeder, in schwarzer Tusche getaucht, und über das Papier kratzt, manchmal bis zum Loch im Papier, entstehen zwischen den klaren Linien und klaren Formen unbeabsichtigte Klekse. Diese zufälligen Tuscheklekse oder unerwartete Verläufe werden in das Bild eingearbeitet. Claudia Ehrentraut strebt keine naturalistische Darstellung der Tiere an. Sie interessiert sich für die Abstufungen von Schwarz und Weiß, für die Anordnung oder Verdichtung von Linien, bis hin zur schwarzen Fläche. So wie bei dem Hasen HOLGER, der auf der linken Seite ganz in Schwarz gezeichnet ist, was ihm seinen besonderen Ausdruck verleiht.
Wenn Claudia Ehrentraut Holzschnitte arbeitet, wie bei dem Druck MARIE, macht es ihr Spaß, mit dem Schnitzeisen zu arbeiten. Es ist ein Wechsel im Handwerk, und auch der Ausdruck ändert sich, aber der Fokus Fläche ist auch hier die Herausforderung. Der Prozess ist im Vergleich zur Tuschezeichnung umgekehrt: was weggehauen wird, erscheint im Druck, hier als Handabrieb, hinterher in Weiß; was stehen bleibt, erscheint in Schwarz.
Beim Zeichnen interessiert sie sich besonders für Strukturen, die die Fläche ausmachen. Und aus unterschiedlichen Flächen mit unterschiedlichen Strukturen entwickelt sich die Gestalt. Und plötzlich erkennen wir in diesen Strukturen Muster, interpretieren die aus den Haaren der Köcherfliege KLARA KUSS entstandenen Strukturen als Blumen auf einem Dirndlkleid. Das Chamäleon CLARA ist aus Flächen leidenschaftlich-vielfältiger Strukturen zusammengesetzt und erscheint trotzdem lebendig. Das Federkleid des Hahns namens HORST wird vermittels der Struktur zu einer festlichen Amtstracht, die dem Hahn Würde und Macht verleiht. Und schon sind wir mitten in einer Geschichte.
Die Künstlerin selbst endeckt während des Zeichnens Gesichtszüge, Körperhaltungen und Gesten ihr bekannter Personen. Wobei, um wichtige Details herauszuarbeiten und zu überhöhen, sie auch im Stil und mit Elementen des Comics arbeitet. Sie zeichnet weder die Tiere naturalistisch, noch stellt sie Menschen als Tiere dar. Die Tiere erscheinen authentisch, blicken uns direkt an. Und doch lösen sie bei uns ein Lachen aus. Ein Lachen des Wiedererkennens. Ein Lachen der Lebensfreude. Claudia Ehrentraut erschafft eine eigene Welt voller Poesie.
Dass zum künstlerischen Prozess auch immer der flow, dieser ganz besondere Zustand dazugehört, soll zum Schluss mit den Worten der Künstlerinnen wiedergegeben werden: „Ich hab ja immer das Gefühl, dass ich eher gefunden werde, als dass ich selber suche“, sagt Gudrun Schuster. Und wenn Claudia Ehrentraut in einer meditativen Stimmung sei, könne sie „1km Tier am Stück zeichnen“.